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Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – aber für mich steckt hinter den Wörtern Stärke und Schwäche schon eine Wertung: Stärken sind anziehend, kraftvoll, damit zielorientiert und positiv besetzt. Der Begriff Schwäche ist verbunden mit nicht erstrebenswert, instabil, ungewiss, kraftlos. Nur natürlich, dass wir Stärken erleben und Schwächen vermeiden oder korrigieren wollen.

Stimmt diese Sichtweise aber in jedem Fall? Gerade in der aktuellen Zeit, in der wir uns öfter schwach fühlen, lohnt es sich, genauer hinzusehen.

Hierzu ein Gedanke: Wäre der schiefe Turm von Pisa eine Berühmtheit, wenn er gerade wäre? Gerade seine Schwäche macht ihn zu etwas Besonderem, etwas Einzigartigem. Also ist seine vermeintliche Schwäche, sein Mangel – seine Stärke.

Oder denken Sie an einen Pinguin: zu kleine Flügel, um zu fliegen. Einen kleinen runden Bauch, kurze Beine und keine Knie. Unserem klassischen Schönheitsideal entspricht er nicht, wenn er so über das Festland „watschelt“.  Trotzdem kann sich wohl keiner seinem liebenswerten Aussehen entziehen. Und im Wasser ist er unschlagbar, all diese vermeintlichen kleinen „Makel“ machen ihn gerade so wendig und schnell. Seine ehemaligen Flügel haben sich im Laufe der Evolution zu flossenartigen Extremitäten entwickelt, mit denen er bis zu 500 m tief tauchen kann. Pinguine scheinen im Wasser zu fliegen. Also von wegen „Makel“ – sie sind seine Stärken. Hier eine anschauliche Geschichte von Eckhard von Hirschhausen in einem kurzen Film.

Schwächen sind Teil unserer Persönlichkeit und machen uns darüber hinaus sympathisch und liebenswert. Z.B. wenn wir an verträumte oder schusselige Menschen denken. Sie bleiben uns oft nachhaltiger in Erinnerung, als der perfekte, immer strukturierte Mensch. Und je nach Kontext sind solche Schwächen genau das, was uns weiterbringt. Jetzt in Corona Zeiten kann es z.B. sein, dass verträumte Menschen mehr Gelassenheit mitbringen, mit der Situation umzugehen.

Schon von Kindheit an lernen wir primär Schwächen auszumerzen als Stärken zu fördern. In der Schule wird oft mehr das Verbessern von Fächern in den Fokus gestellt, anstelle Talente weiter auszubauen.

Wie viel Stärke wir einsetzen und wann wir den Blick auf Schwächen richten, ist oft eine Frage der Dosierung. Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einem Segelboot auf offenem Meer und merken, dass ein Leck vorhanden ist. Ihre Füße werden nass, und offensichtlich wird das Schiff sinken, wenn Sie nichts dagegen tun. Sie gehen unter Deck, und versuchen das Leck zu reparieren. Was passiert, wenn Sie nun alles versuchen, das Leck perfekt abzudichten, und es auch überwachen – immer genau beobachten, dass es nicht wieder aufgeht: Sie werden nicht merken, was oben an Deck passiert, wohin Sie der Wind treibt, da Sie ihre Segel nicht mehr im Blick haben. Sie sind unter Deck und der ganze Fokus ist auf das Leck gerichtet. Vor lauter Konzentration auf das Leck besteht Sie Gefahr auf Felsen zu laufen oder komplett die Orientierung zu verlieren. Der bessere Weg wäre das Leck so zu reparieren, dass es bis zum nächsten Hafen hält, und dann oben die Kraft der Segel und des Windes zu nutzen, um möglichst schnell einen sicheren Ort zu finden, an dem sich Profis um das notdürftig reparierte Leck kümmern. Schwächen zu erkennen ist wichtig. Aber mit unserer Aufmerksamkeit sollten wir Ihnen so viel Bedeutung geben wie nötig und unsere Stärken dabei nicht aus dem Auge verlieren.

Was bedeutet das nun in Zeiten von Corona, verschärftem Lockdown und Ausgangsbeschränkungen? Wir laufen Gefahr uns ausschließlich mit den Konsequenzen dieser Einschränkungen zu befassen. Wir verlieren so langsam die Geduld, sind genervt und diese Spirale macht uns schwächer und auch ein Stück mutloser. In der Sprache des Segelbootes: das Leck ist da und wir können und sollen es nicht ignorieren. Und es lässt sich auch nicht durch eigene alleinige Anstrengung beheben. Es hilft uns aber, wenn wir uns bewusst machen, was für Stärken wir haben, was hat uns früher geholfen, mit schwierigen Situationen umzugehen? Und wie kann uns das jetzt helfen?

Wir glauben, dass wir von Stärken nicht genug haben können. Nach dem Motto: je mehr desto besser. Es gibt aber immer auch ein zu viel davon. Was passiert, wenn ein zielstrebiger Kollege übertreibt: er wird verbissen, zwanghaft. Oder zu viel Mut führt zu Waghalsigkeit und kann gefährlich werden. Selbst Stärken wie Einfühlsamkeit bergen eine Gefahr in sich, wenn sie übertrieben werden: wir vergessen uns selbst, achten zu wenig auf unsere eigenen Bedürfnisse.

Das bedeutet: ein zu viel einer Stärke kann in eine Schwäche umschlagen, die negative Auswirkungen hat.

Wer bestimmt denn nun, was eine Stärke ist? Wenn ich an meinen Vater denke, erinnere ich mich, dass für ihn eine 1 in Sport in der Schule sehr wichtig war und dass ich zu meiner Meinung stehe. Eine 5 in Mathe hätte er akzeptiert, aber einen Satz im Zeugnis: „die anpassungsfähige Schülerin“ hätte mir ein wahrscheinlich riesen „Donnerwetter“ beschwert. Ich bin mit diesen Vorstellungen groß geworden und diese Werte vermittelten mir eine Richtung, was ich heute als Stärke und Schwäche wahrnehme. Die Bewertung ist also auch bestimmt durch Erziehung und Werte.

Stärken und Schwächen sind also immer im Kontext zu sehen und je nach subjektiver Erfahrungen und nach der individuellen Perspektive zu betrachten. Stärken können Schwächen sein und Schwächen Stärken. Und wir brauchen beide. Was uns hilft ist, sie zu kennen und für uns zu erkennen, wann sie uns weiterhelfen und wann sie hinderlich sind.

Also: Kommen Sie ihrem Pinguin auf die Spur.

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Angela Barzen
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